Schwetzinger Zeitung Plus-Artikel
Kirchenmusik – Gerhard Müller bereichert als Organist seit 25 Jahren die Angebote der evangelischen Gemeinde / Maßgebliche Rolle auch bei digitalen Angeboten
Bei Gerhard Müller ist Weltliches und Geistliches im Einklang
Gerhard Müller spielt seit einem Vierteljahrhundert bei den Gottesdiensten die Orgel. © PERNER
Neulußheim. Queens „Bicycle Race“ oder „Magic“, das eigentlich sonst von der Pop-Rock-Band Coldplay zu hören ist – nicht gerade Musikstücke, die man auf der Orgel gespielt, erwarten würde und doch weltliche Musik, die in der evangelischen Kirche regelmäßig zu hören ist – seit inzwischen 25 Jahren. Zu verdanken ist das Organist Gerhard Müller, der 1995 seine Anstellung als Organist antrat. Offenheit für musikalische Wünsche aus der Gemeinde, eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen musikalischen Wirken und der Wunsch, auch Weltliches in der Kirche zuzulassen, zeichnen den 64-Jährigen aus. Die Gemeinde nimmt dies dankbar an und auch Pfarrerin Katharina Garben arbeitet gerne mit dem Organisten zusammen.
Auch wenn es in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und an vielen Orten geschlossenen Kirchen schnell aus dem Blick gerät, die Zeit vor Corona mit großen Hochzeiten, Taufen im Kreise der Angehörigen und anderen familiären Feierlichkeiten liegt noch gar nicht allzu lange zurück. Gerhard Müller sorgte bei den entsprechenden Gottesdiensten für die Musik und ging dabei vor allem der Frage der individuellen Wünsche nach.
Die ihm genannten Lieblingssongs versuchte er dann auf die Orgel zu übertragen und „das ist mir zum Teil ganz gut gelungen“, bleibt der Organist in Bezug auf das eigene Können bescheiden, betont aber auch, dass nicht alles eins zu eins auf die Orgel übertragbar sei.
Im Sinn habe Gerhard Müller dabei immer, ein Zeichen zu setzen: „In der Kirche können wir fröhlich sein – dort können wir swingen und die gleichen Melodien singen wie sonst auch.“ Kirche und die dort gespielte Musik stellt für Gerhard Müller nämlich keineswegs eine Parallelwelt dar, sondern „Weltliches und Geistliches darf nebeneinander existieren“, wie er verrät.
Mit dem Klavier fing alles an
Das spiegelt auch der Werdegang des inzwischen 64-Jährigen als Organist wider. Den Einstieg in das aktive Musizieren fand Gerhard Müller, der schon immer fasziniert von der Welt der Musik war, dank eines geschenkten Pfarrhaus-Klavieres, 1966 gab es die ersten Klavierstunden. Vielleicht war es in Bezug auf die berufliche Laufbahn Müllers Schicksal, dass am von ihm besuchten Gymnasium in Kusel Orgelunterricht angeboten wurde und so lernte der Heranwachsende schon früh viel Grundlegendes in Bezug auf das Orgelspiel und die Kirchenmusik. Dabei blieb der jugendliche Gerhard Müller stets offen für andere Musikrichtungen und musizierte beispielsweise mit seiner Tanzband „Calypso-Sextett“ bei Tanzveranstaltungen im Kreis Kusel sowie in und um Kaiserslautern. Auf dem Programm stand Calypso-Musik der frühen 70er Jahre.
Mit dem 18. Geburtstag endete diese Zeit jedoch und Gerhard Müller entschied sich endgültig für den beruflichen Weg der Kirchenmusik. Das Studium an der heutigen Hochschule für Kirchenmusik in Heidelberg finanzierte er sich als Organist und Chorleiter bei der Kirchengemeinde Mannheim-Pfingstberg sowie als Klavierlehrer an der Musikschule Hockenheim. Nicht weit von der Rennstadt entfernt schlug Gerhard Müller mit Ehefrau Anita auch sonst Wurzeln – Reilingen wurde zur Heimat für das Paar mitsamt den in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre geborenen drei Söhnen.
Neben der Anstellung bei der Kirchengemeinde Neulußheim betätigt sich Gerhard Müller sogar noch länger auch als Organist in Mannheim-Rheinau und bringt zudem jungen Menschen das Klavierspiel näher. Inzwischen darf Gerhard Müller sich zudem privat einen weiteren „Titel“ geben, ist er doch seit kurzem zweifacher Großvater – zum Enkel gesellte sich vor wenigen Wochen nun auch eine Enkeltochter und erhellte damit den wettertechnisch eher tristen Winter.
„Glücklicher Umstand“
In den inzwischen vielen Jahrzehnten als Organist habe Gerhard Müller „mit Pfarrern dolle Konstellationen“ erlebt. Dass die evangelische Kirchengemeinde Neulußheim seit 2013 Pfarrerin Katharina Garben anvertraut ist, sei ein „sehr glücklicher Umstand“. Nach eineinhalbjähriger Fehlbesetzung, in der man „als Gemeinde miteinander stark geworden“ sei, sei Katharina Garben für Müller nun „die Sonne, die aufgeht“. Noch nie habe er mit ihr „eine traurige Situation erlebt“. Die junge Pfarrerin hänge stattdessen nicht hinter ihrem Status, sondern lasse ein „Wirken ohne, dass man Theologie studiert hat“ zu und das Aufeinanderzugehen lasse alle Beteiligten kreativ werden.
Neulußheim erlebe dank der jugendlichen Frische der Pfarrerin eine Renaissance. Dabei ist Katharina Garben nicht die einzige, mit der solch kreatives Wirken möglich wird. Auch das Engagement junger Gemeindemitglieder und das Miterleben deren Entwicklung „macht viel Spaß“, wie Gerhard Müller berichtet. Generell schätzt er das „schöne Miteinander“ des Teams, das eine „unwahrscheinliche Dynamik reingebracht habe“, die zeige „Kirche kann einfach Spaß machen“.
Mit einem Gemeindemitglied jedoch muss sich Gerhard Müller in Neulußheim ganz besonders und seit Beginn seiner Tätigkeit auseinandersetzen. Sie dürfte wohl auch die älteste in der Gemeinde sein, wurde sie doch immerhin im Jahr 1909 geboren – oder vielmehr er baut. Gemeint ist die pneumatische Orgel, der Gerhard Müller entgegen den ablehnenden Stimmen, die im Studium in Bezug auf diese Bauart zu hören waren, durchaus wohlklingende Weisen entlockt.
„Man darf eben nicht alles aus dem Studium nachreden, sondern muss selbst überprüfen, was dran ist“, lautet das Fazit des inzwischen seit 25 Jahren mit dem Instrument vertrauten Kirchenmusikers. Die zweimanualige alte Dame steht unter Denkmalschutz, durch das breitgefächerte Repertoire Gerhard Müllers werde sie ganz anders beansprucht und das tue dem Instrument durchaus gut, ist sich der Organist sicher.
Stete Überprüfung
Dank zweier Klaviere zuhause übt er vor allem dort, sodass die Umsetzung im Gottesdienst ohne viel Übungszeit vor Ort möglich sei. „Das ganze darf auch einen improvisatorischen Touch haben, mir ist es wichtig, immer wieder etwas Neues reinzubringen“, berichtet Gerhard Müller, dass es ihm dabei nicht auf stures Nachspielen von Noten ankommt. Ebenso wichtig ist es dem 64-Jährigen jedoch, das eigene Spiel immer wieder einer Überprüfung zu unterziehen. Sei eine im Nachgang angehörte Aufnahme mal nicht so gut, sporne er sich selbst an: „Das kannste besser, da geht noch mehr.“
Um diese „weltlich-medialen Möglichkeiten“, die eigene Musik aufzunehmen und im Nachhinein anzuhören, ist der Organist dabei sehr dankbar. Schmunzelnd blickt er in diesem Zusammenhang auch auf die Zeit der Orgelrestaurierung 1997 zurück. Die habe er für das Anhören von Kassettenaufnahmen genutzt, mit selbstkritischem Fazit in Bezug auf das Spieltempo: „Das geht ja gar nicht.“ Das Vorhalten eines solchen Spiegels spielt für den Vater und Opa eine große Rolle, das Musizieren gestalte sich für ihn als lebenslanger Prozess.
Eine Affinität zur Technik zeigte Gerhard Müller bereits vor einigen Jahren, als er den Youtube-Kanal der Kirchengemeinde mit ins Leben rief – und dabei den richtigen Riecher hatte: Für die Umsetzung von Corona-bedingten Digitalangeboten stand die passende Plattform damit bereits zur Verfügung und wird wohl auch genutzt – die Abonnentenzahlen erhöhten sich in den vergangenen eineinhalb Jahren um die Hälfte.
Für Pfarrerin Katharina Garben sei der Türöffner für die gemeinsame Betätigung in der Neulußheimer Kirche die Frage an den Organisten gewesen, wie die Zusammenarbeit in Bezug auf die Liedauswahl laufen könne. Seither ist es so, dass Gerhard Müller mittwochs eine Info erhält, was grob für den sonntäglichen Gottesdienst geplant ist und anhand dieser die passende Musik zusammenstellt – sowohl traditionelle als auch modernere Kirchenmusik finden sich darin wieder. Diese Mischung kommt der Pfarrerin zufolge „bei vielen gut an“.
An Gerhard Müller als Person schätzt Katharina Garben vor allem seine Offenheit für die Wünsche der Menschen. Zudem habe der Organist „eine eigene Meinung zu den Dingen“ – und stehe für diese Meinung auch ein. „Wir sind froh, dass wir ihn haben“, lässt die Pfarrerin auch die Orgelkonzerte nicht unerwähnt. Diese bereichern das Angebot und Gerhard Müller sei auch in anderen Kontexten bereit, mit Musikern aller Art zu kooperieren. Honorieren möchte die Pfarrerin das Wirken Gerhard Müllers im Rahmen des Gottesdienstes am 14. März.
Für die Zukunft in Bezug auf sein leidenschaftliches Orgelspiel wünscht sich Gerhard Müller vor allem eines: Nämlich, dass das Instrument nach der Ernennung zum Weltkulturerbe der UNESCO im Jahr 2019 auch in der Gesellschaft wieder mehr Beachtung findet. Gerade Jugendliche sollten ihren Blick für das „Wunderwerk“ öffnen und erkennen, was damit alles machbar ist. Denn wenn es nach Gerhard Müller geht, ist die Orgel kein kirchenspezifisches Nischeninstrument und so hofft er, nach wie vor, dass es ihm und anderen gelingt, Vorurteile und Vorbehalte abzubauen.
Wer mehr über den vielseitig ausgerichteten Organisten erfahren und Auszüge aus seinem Repertoire hören möchte, kann dies auf dessen Homepage.
www.gerhard-mueller-reilingen.de